Tom Petty veröffentlichte 1994 mit „Wildflowers“ sein zweites Solo-Album; ein Album, das einen Übergang darstellen sollte – vom Pop-lastigen Sound durch Produzent Jeff Lynne (bei seinem ersten Solo-Album „Full Moon Fever“ und der „Tom Petty & The Heartbreakers“-Veröffentlichung „Into the Great Wide Open“) sollte nun unter anderem Rick Rubin eine erdigere Produktion liefern. Als Musiker dienten Pettys „Heartbreakers“ sowie weitere Studiomusiker. Es handelt sich auch um die erste Veröffentlichung nach dem Weggang von Drummer Stan Lynch, der zuvor mit der Single „Mary Jane’s Last Dance“ zu einer Best-of-Compilation seinen Abschied vollzog. Auf dem Album trommelte Steve Ferrone, der fortan Mitglied der „Heartbreakers“ wurde.
Der Erfolg von „Wildflowers“ blieb zunächst hinter Vorgängeralben zurück, in späteren Jahren zählten einige der Stücke zum ‚Evergreen-Repertoire‘ des 2017 mit 66 Jahren verstorbenen Musikers. Dieses Jahr wurde das Album als „Deluxe Edition“ neu aufgelegt und mit zusätzlichen Stücken sowie Live-Aufnahmen garniert. Demnach habe Tom Petty aufgrund der Fülle an Material der Aufnahme-Sessions bereits bei der Veröffentlichung über ein Doppelalbum nachgedacht. Zwei der Stücke wurden später in alternativen Fassungen auf Pettys Soundtrack-Album „She’s the One“ veröffentlicht.
Tom Petty mit aufgeräumtem Indie-Country-Bluesrock
Mit dem Titelsong „Widlflowers“ beginnt das Album zunächst unscheinbar und gut gelaunt, zu der Akustikgitarre gesellen sich immer mehr Instrumente – Piano, Percussion – bevor zu einem melodisch überraschenden und fesselnden Übergang der Rest der Instrumentierung (samt Orchester-Anklängen) einsetzt. Trotz oder wegen der fast ‚harmlosen‘ Singer-Songwriter-Melodien und des Folk/Rock-Country-Arrangements setzt sich der Song nachhaltig fest – ein Anspieltipp. „You Don’t Know How it Feels“, ein schleppender Bluesrock-Güterzug samt Mundharmonika und Gitarren-Leslie-Effekten, lädt zum Mitwippen ein – ein weiterer Tom Petty-Evergreen, der sich ins Gehör geschlichen hat.
„Time to Move on“ ist eine flinke Besen-Country-Rock-Nummer mit melancholischem Einschlag, die ebenfalls vom gelungenen Songwriting und Storytelling des Tom Petty zeugt. Das flott-rockige „You Wreck Me“ avancierte ebenfalls zum Live-Klassiker im Repertoire von Tom Petty – die Studioversion deutet den ausufernden Dynamikbogen ähnlich der Performance einer Gospel-Predigt, den Tom Petty auf der Bühne ausweitete, lediglich an. „It’s Good to Be King“ bleibt zuerst unprätentiös-melancholisch als Midtempo-Song, bevor im Refrain mit Orchester-Einschlag das vermeintliche (unerreichbare) Königreich des Erzählers vertont wird – ein weiterer ‚Hit‘ des Albums. Mit „Honey Bee“ schafft es ein praktisch in der Liga der Fleetwood-Mac-Nummer „Oh Well“ (die Tom Petty auch live coverte) spielendes Rock-Riff, dazu ein verschmitzter Text über Anziehung und das Ausgeliefertsein der Lust, aufs Album.
Bei „Don’t Fade on Me“ liefert der Musiker einen melancholischen wie schnellen und grundtönigen Flatpicking-Country-Folk-Song, der mit getriebener Unruhe einen Sog entwickelt. „Hard on Me“ stellt eine gelungene Popballade dar. Beim Blues-Rock-Song „Cabin Down Below“ klingt der stellenweise betont nölige Gesang von Tom Petty etwas aufgesetzt. „To Find a Friend“ greift das Arrangement des Titeltracks auf und liefert ein interessantes Stück. „A Higher Place“ setzt auf oft gehörte Pop-Harmonien – was in diesem Fall weniger zündet. Mit „Crawling Back to You“ enthält das Album eine schöne Pop-Erzählung, bevor mit „Wake up Time“ eine langsame, bluesige Ballade die 15 Songs des regulären Albums schließt.
Teils herausragendes Bonus-Material
Das Bonus-Material startet mit „Something Could Happen“, dem ersten der zehn bislang unveröffentlichten Songs. Und tatsächlich: Die verträumte Mid-Tempo-Nummer bietet einen betörenden, eingängigen Refrain, angesichts dessen man sich fragt, warum Tom Petty den Song nicht schon viel früher veröffentlicht hat – eine echte Seltenheit unter dem Bonus-Material der meisten Deluxe-Veröffentlichungen. „Leave Virginia Alone“, eine flottere Country-Pop-Nummer, klingt solide und angenehm hörbar.

Der „Climb that Hill Blues“, ein akustisches Stück, erscheint indes als ‚Rollenspiel‘ mit wieder betont genöltem Gesang – trotzdem beeindruckt die Moll-Atmosphäre und die Erzählung über einen inneren Kampf mit zurückgewiesener Zuneigung. Der Song wurde auf dem erwähnten „She’s the One“-Soundtrack als Rock-Nummer veröffentlicht. Im vorliegenden Bonus-Material befindet sich noch eine alternative Rock-Fassung, die etwas getragener erscheint und eine reizvolle Alternative darstellt, die im Arrangement etwa an Roy Orbisons „Oh, Pretty Woman“ erinnert. „Confusion Wheel“, langsamer, melancholischer Pop, lädt ebenfalls zum Hören ein, mit harmonischem Refrain.
„California“, eine Liebeserklärung an den Staat, erinnert mit seiner abgestoppten, kontrollierten Rhythmik am ehesten an die Vorgänger-Produktionen von Tom Petty, kombiniert mit Mundharmonika-Einlage – ideal für einen unbeschwerten Sommertag. Der Song wurde ebenfalls bereits auf dem Soundtrack veröffentlicht, liegt hier allerdings in neuer Abmischung vor. „Harry Green“, eine traurige, grundtönige Charakterstudie mit gezupften Gitarren und Mundharmonika, fesselt den Zuhörer wiederum durch die subtile Vertonung. „Hope You Never“, eine ruhige Popnummer, erweist sich als sarkastische Anklage („I hope you never fall in love with somebody like you“).
„Somewhere under Heaven“ referenziert auf die opulenten Klänge von „Into the Great Wide Open“, allerdings vermag der Refrain nicht recht die aufkommende Spannung aufzulösen. „Hung up and Uverdue“, eine schleppende Popballade, beendet das ‚normale‘ Bonusmaterial würdevoll mit einem idealen Song nach einer durchzechten Nacht. Auch dieser Titel wurde bereits veröffentlicht und liegt hier neu gemischt vor.
Weitere 15 Songs bestehen aus Home-Recording-Akustik-Aufnahmen von Tom Petty, die allesamt sehr hochwertig erscheinen und ästhetisch an die späteren Johnny-Cash-Aufnahmen durch Rubin und Petty erinnern. Höhepunkte: das eingängige, unveröffentlichte „A Feeling of Peace“, die naiv-unschuldige Fassung von „Only a Broken Heart“, gegen welche die Studio-Aufnahme merkwürdig belanglos dahinplätschert, sowie eine subtil-hypnotische Version von „Crawling Back to You“. Die 14 zusätzlichen Konzertaufnahmen des Materials der Sessions verbleiben eine nette, brauchbare Dreingabe.
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Brauchbares Klangbild ohne tiefes Bassfundament beim Album, gelungene Bonus-Mischungen
Die ursprüngliche 1994er-Veröffentlichung des Tom Petty Albums „Wildflowers“ erscheint zwar solide, gleichzeitig aber auch eher dünn, mit stark komprimierten Einzel-Sounds (zum Beispiel die Snare), ohne kraftvolle Bässe und mit teilweise leicht scharfen Höhen. Die aktuelle Fassung unterscheidet sich nur minimal – die unangenehmen Spitzen im Höhenbereich (beispielsweise die Becken bei „It’s Good to Be King“ sowie die Hi-Hats und der Gesang bei „Cabin Down Below“) sind leicht ‚entschärft‘.
Das Fundament lässt nach wie vor Potenzial offen. Dass hier möglicherweise ein komplett neuer Mix hätte Abhilfe schaffen können, zeigt das Bonusmaterial der Sessions: Die Stücke erscheinen dreidimensional gemischt, mit greifbarem Bassfundament, deutlicher Räumlichkeit und einhüllender Atmosphäre. Bestes Beispiel: der neue Mix von „California“, der in der Ursprungsversion auf „She’s the One“ flach und vergleichsweise reizlos scheint und im neuen Mix plötzlich Hitpotenzial offenbart. Auch „Hung up and Overdue“ entfaltet neue Wucht und Tiefe. Allein diese Aufnahmen und Mischungen sind die Veröffentlichung wert.
Als „Deluxe“-Download ist das Album plus Studio-Outtakes sowie als „Super Deluxe“-Version mit Home-Recording- und Live-Material bei iTunes erhältlich. Als „Box-Edition“ beinhaltet die Deluxe-Fassung wiederum das komplette hier beschriebene Material, eine „Super Deluxe“-Veröffentlichung beinhaltet weiteres Demo-Material. Die klangliche Bewertung bezieht sich auf das Album / die Studio-Outtakes, nicht auf die Home-Recording-Aufnahmen / Live-Dreingaben. Eine 96 kHz/24 Bit-Variante des Audio-Materials ist bei Highresaudio.com erhältlich.
TOM PETTY – WILDFLOWERS & ALL THE REST (DELUXE EDITION)
TESTERGEBNIS | Punkte |
Musik | 9 |
Klang | 7 (normales Album), 9 (Studio-Bonusmaterial) |