Steven Wilson – „To The Bone“

Steven Wilson ist wohl das ewige Progressive Rock-Label leid und versucht sich in anspruchsvoller Pop-Musik. Das Ergebnis: eine gelungene Hommage an seine Jugend.

Peter Gabriel, Talk Talk, Kate Bush – die 1980er Jahre waren die Zeit der großen, anspruchsvollen Pop-Alben, die bis heute nachhallen und einen etwas wehmütig auf die aktuellen Charts blicken lassen. Nicht nur in Sachen Songwriting, sondern auch in Hinblick auf die Klangqualität sind Klassiker wie Gabriels „So“ oder Tears for Fears’ „The Seeds of Love“ Meilensteine der Pop-Musik. Letzteres darf wohl auch als Grund bezeichnet werden, warum Steven Wilson sich gerade dieser Zeit als Inspiration für sein fünftes Soloalbum „To The Bone“ zuwandte. Seine Remixarbeit an diesem opulenten Konzeptalbum ist inzwischen abgeschlossen und wartet auf Veröffentlichung. Das eigene Album „To The Bone“ atmet in ganzer Länge dieselbe Detailverliebtheit und Songwriting-Finesse, die Wilson in seiner Jugend bereits bewunderte. Dabei verliert er sich aber weder auf dem Produzentenstuhl noch als Songwriter in 1980er-typischen Klischees, sondern verpackt aktuelle Themen wie die Vereinsamung im digitalen Zeitalter, Fake News, Terror und Flüchtlingskrise in ein stimmiges Klanggewand.

Die Liste der Gäste bei dieser Produktion kann sich sehen lassen: XTCs Andy Partridge schrieb den Titelsong, Mundharmonika-Legende Mark Feltham (unter anderem Talk Talk) spielte zwei Soli ein. Die Schweizer Sängerin Sophie Hunger gibt beim kühlen Duet „Song of I“ die unberührbare Diva à la Kate Bush, und Ninet Tayeb, die bereits auf dem letzten Album „Hand. Cannot. Erase“ mit ihrer Röhre begeisterte, bekam mit „Pariah“ einen Song auf den Leib geschneidert. Wilson selbst spielte auch deutlich mehr Instrumente selbst ein als je zuvor – laut eigener Aussage half das beim Pop-Songwriting, da er etwa am Bass eben nicht so ein Virtuose sei wie sein Haus-und-Hof-Bassist (und Kajagoogoo-Legende) Nick Beggs, der diesmal nur bei einem Song dabei ist.

Ob Midtempo-Nummer mit wunderschönem, mehrstimmigen Pathos-Refrain („Nowhere now“), fragile Akustikgitarren-Ballade („Blank Tapes“) oder gar ABBA-inspiriertes Piano-Pop-Feuerwerk („Permanating“, der mit Abstand fröhlichste Song in Wilsons Oeuvre), das Album vereint elf grundverschiedene Songs, die dennoch klanglich klar zusammengehören und neben den jeweiligen Vorbildern immer auch und vor allem nach ihrem Schöpfer klingen.
Wilson produzierte nicht alleine, sondern holte sich mit Oasis-Produzent Paul Stacey einen kongenialen Co-Produzenten außerhalb seiner Wohlfühlzone mit ins Boot. Dessen Leidenschaft für analoges Vintage-Equipment – sehr eindrucksvoll zu sehen in der Making-Of Dokumentation zum Album, die in der Bluray- und Deluxe-Box-Version enthalten ist – ist maßgeblich für den authentisch eingefangenen Sound der 1980er verantwortlich.

Dabei ist die Produktion Wilson-typisch sehr perfektionistisch gehalten. Alles scheint aufs akribischste ausbalanciert, kein noch so kleiner Instrumentenfetzen scheint einen klanglichen Makel zu haben. Der Klang ist frisch und modern, selbst die tiefsten Synthesizerpassagen kommen klar definiert. Die Produktion weist ein geringes Maß an Kompression auf, wie es der generellen Ästhetik der aktuellen Popmusik entspricht. Deshalb mussten wir beim Klang Abzüge machen. Wilson beweist aber auch hier Fingerspitzengefühl, so dass die Aufnahmen immer noch lebendig und tight bleiben. Wer das volle Klangerlebnis möchte, sollte mindestens auf den Hi-Res-Download in 24 Bit/92 kHz zurückgreifen – die Bluray-Version und das Boxset enthalten zusätzlich zum Stereomix auch den fantastischen 5.1-Mix.

Dass Wilson Pop-Produktionen beherrscht, hat er mit seinem Nebenprojekt Blackfield bereits bewiesen, doch mit diesem Album legt er die Messlatte noch ein ganzes Stück höher an. Nach der Krone des kontemporären Progressive Rock scheint er nun auf eine Stufe mit David Bowie und Prince steigen zu wollen. Den Grundstein für diese Entwicklung hat er auf jeden Fall nun gelegt.

BEWERTUNG STEVEN WILSON – „TO THE BONE“

TESTERGEBNIS Punkte
Musik 8
Klang 7
So testet und bewertet mobilefidelity magazin.

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