Es gab Zeiten, da wurde der heute 80-jährige Ringo Starr von manchem belächelt, sein Beitrag zu den Beatles kleingeredet. Das war denkbar einfach, verglichen mit dem Songwriter-Output der restlichen Beatles. Unbändigen Kritikern darf man die Frage vorhalten: Wie hätte die Band wohl mit einem anderen Drummer geklungen? Frühe Höhepunkte seines Songwritings stellten das fantastische „Octopus’s Garden“ – laut George Harrison, der beim Arrangement half, der zweite Song überhaupt aus Starrs Feder – oder „With A Little Help From My Friends“ dar. Sein Schaffen nach den Beatles verblasste im kollektiven Gedächtnis, allerdings veröffentlichte er weiter regelmäßig Musik – darunter zwei Nummer-Eins-Singles 1973 in den USA. Aktuell folgte dieses Jahr eine „Lockdown-EP“: „Zoom In“ hat Starr im letzten Jahr aufgenommen, als „Beschäftigungstherapie“, darauf sollten positive Songs enthalten sein. Im Studio seines Gästehauses in Los Angeles spielten Musiker – immer nur zwei gleichzeitig, unter Corona-Bedingungen – Gastbeiträge ein, darunter Ben Harper, Lenny Kravitz, Steve Lukather, Sheryl Crow, Joseph Williams, Dave Grohl, Robbie Krieger und Ex-Beatles-Kollege Paul McCartney, um nur die prominentesten zu nennen.
Leichtfüßige Lockdown-EP
Mit der Ballade „Here’s To The Nights“ von Songwriterin Dianne Warren beginnt die EP mit eher seichtem Schunkel-Charakter: Erwartbare Harmonien, Klischee-Metaphern und -Reime, engagierte Background-Stimmen, weichgespülte Streicherklänge, verhaltenes Schlagzeug. Die Masse an Gastbeiträgen wirkt seltsam beliebig zusammengewürfelt, das Arrangement verwässert. Ebenso Pop-Gewässer bedient „Zoom In Zoom Out“, allerdings klingt das Ergebnis „heimischer“ für Ringo Starr – der harmlose Gute-Laune-Song mit Fokus auf zwischenmenschlicher Liebe lädt mit seinem Shuffle-Beat und Mitsing-Refrain zum Mitwippen ein, vereinzelt ungewohnte Harmoniewechsel überraschen. „Teach Me To Tango“, das erste Stück, das Starr mitgeschrieben hat, klingt flott, deutlich rockiger und insgesamt ungezwungen: Das Flair mit ungewöhnlichen Melodie-Einwürfen und Kopfstimmen-Background-Gesang erinnert im Flair an „Octopus’s Garden“ – ein Anspieltipp.
Zwischen Rock und Reggae
„Waiting For The Tide To Turn“ ist als Reggae-Hommage etwa an Bob Marley angelegt: Die nachdenkliche Halftime-Ballade geht ins Ohr, mit sehnsuchtsvoll verhalltem Gesang, abgedämpften Gitarren samt Wah-Sounds, dazu vermitteln einzelne Bläser das Bild staubiger Mittagshitze in Mexiko. Das Arrangement wirkt insgesamt gut sortiert – ein Höhepunkt. „Not Enough Love In The World“ schließt die EP. Der Song stammt von den beiden Toto-Musikern Steve Lukather und Joseph Williams; Ringo Starr moniert darin überzeugend das Fehlen von Liebe und Frieden in ausreichender Menge auf dem Planeten. Das Ergebnis pendelt zwischen Dur und Moll, es klingt nach typischem Beatles-Shuffle, irgendwo zwischen „With A Little Help From My Friends“ und „All You Need Is Love“ angesiedelt.
Solider Klang ohne Fokus
Ein Knackpunkt: Die Produktion selbst klingt solide, allerdings auch uninspiriert – als ob eine konkrete Stoßrichtung fehlen würde: Bei „Here’s To The Nights“ beispielsweise sitzt der Großteil der Refrain-Background-Gesänge halblinks laut über der Musik, sodass die Instrumente lediglich wie ein Karaoke-Musikbett erscheinen. Ringo Starrs Gesang ist dumpf aufgenommen, vergleichsweise leise gemischt und seltsam künstlich verhallt.
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Klavierklänge sind mit breitem Stereobild aufgenommen, das ebenfalls vom Kontext losgelöst scheint. Darüber legt sich eine fast schlagerhaft glatt gemischte Fiddle, die die ohnehin konturlosen Synth-Streicher ergänzt. Noch mit am deutlichsten ist Starrs Snare wahrnehmbar, mit halbwegs fülliger Vintage-Ästhetik. Die Bassdrum hingegen klingt dünn mit einer Hardrock-ähnlichen Höhenbetonung, die HiHat zischt unfreiwillig verwaschen. Ein Ride-Becken liegt im Refrain rechts derart separiert, dass es wie ein verloren dreinblickender Overdub anmutet. Geerdeter wirkt „Zoom In Zoom Out“ – nach wie vor keine dreidimensionalen Klänge, das Schlagzeug immer noch etwas merkwürdig belegt, trotzdem sitzt alles gut beisammen und ergibt eine Einheit. Ähnlich „Teach Me To Tango“, das passend zum Song stärker ästhetisch komprimiert ist. Die Balance stimmt grundsätzlich, nur die Hihat zischt undefiniert – ähnlich dem bräsigen „Höhenstrudel“ bei frühen mp3-Dateien. Bei „Waiting For The Tide To Turn“ kommt dann besser ausgenutzte Räumlichkeit und zusätzlich Luftigkeit im Bass zum Tragen. Die „schwimmenden“ HiHat-Sounds bleiben allerdings erhalten, was im Abschluss-Song zusätzlich in den Becken wahrnehmbar ist. Auch die Panorama-Anordnung der Instrumente bei „Not Enough Love In The World“ erscheint seltsam abstrakt, was keine wirkliche Einheit aufkommen lässt.
Was bleibt? Teils solide Songs mit hochkarätigen Performern (die übrigens selten im Mix einzeln hervorgehoben werden). Mitunter steht die EP eher für ein solides „Happening“-Statement denn als zeitloses Musikdokument – was vor allem für die drei reinen Fremdkompositionen gilt. Die Höhepunkte, besonders „Waiting For The Tide To Turn“, zeigen allerdings, dass in Ringo Starr nach wie vor ungebremstes musikalisches Leben steckt. Wer das jemals ernsthaft in Frage gestellt hat, war vielleicht nur neidisch darauf, dass die Legende auch mit 80 noch gut 30 Jahre jünger aussieht – und ähnlich jugendlich-lebhaft Musik macht.
Ringo Starr – Zoom In EP
TESTERGEBNIS | Punkte |
Musik | 6 |
Klang | 6 |