Die israelische Singer/Songwriterin produziert experimentellen elektronischen Pop. Die 31-jährige Musikerin hat Komposition studiert, veröffentlichte 2017 ihr Debütalbum, der Song „Dance While You Shoot“ wurde von Apple für eine Marketing-Kampagne verwendet. Die Musik klingt unkonventionell und erfrischend; kürzlich veröffentlichte sie ihr zweites Album „KIDS“.
Unkonventioneller Elektropop: Unaufdringlich und trotzdem eindeutig
Nach einem kurzen Intro folgt „Cipi“, ein Song mit selbstbewusstem Text, der gleichzeitig in Unzufriedenheit und Sinnsuche schwelgt. Der fast unbeteiligt erscheinende, zurückhaltende Gesang erreicht mit der unaufdringlich hellen Stimmfarbe Erez‘; sie singt rhythmisch auf den Punkt akzentuiert, unterstürzt durch passenden rhythmischen Versatz von kurzen E-Drums, Claps, Synth-Einwürfen und kräftigen Synthbässen. Das lässt sich gut anhören und geht ins Ohr. Behutsame rhythmische Versätze erinnern an Funk à la Prince, melodische Synth-Licks umlaufen den Beat. „You So Done“, im Refrain mit synthetisch nach unten oktaviertem Gesang gedoppelt, klingt ebenso modern und unaufdringlich auf den Punkt produziert, ein Filter-moduliertes Synth-Riff erinnert in der Machart an den Klassiker „Flat Beat“ von Mr. Oizo – allerdings ohne dessen angedeuteten Schranz-Stressfaktor. Im Text thematisiert Erez eine ungesunde Beziehung. Musikalisch-rhythmisch liefert sie eines der Highlights des Albums.
Modernes Sounddesign statt Retro-Elektro-Pop
Was macht das Ergebnis so ungewöhnlich im Vergleich zu den austauschbaren Elektro-Produktionen, bei denen ein Drum-Computer mit flachem Herzrasen durch ein Konglomerat an Tönen rappelt, das gerne ein Song wäre? Der Gesang wirkt unaufgeregt, fast lakonisch, gleichzeitig sitzt ihre Performance mitten in der Musik. Erez betreibt modernes Sounddesign, das meistens auf akustische Elemente oder Retro-Experimente mit Vintage-Ästhetik verzichtet. Dabei kommt sie größtenteils ohne Klischee-Effekte, wie dem seit 25 Jahren zu Tode genudelten Autotune-Effekt von R&B-Pop, aus. Der Elektro-Beat scheint oft langsam und für die jeweiligen Takte individuell gespielt oder programmiert zu sein, mit Synkopierungen, die die Songs stützen. Unaufdringlichkeit steht dabei im Vordergrund, gepaart mit einer eigenen, eindeutigen Stilistik. „End of the Road“ wirkt extrovertierter, mit höherem Refrain und verspielteren Melodie- und Percussion-Elementen – dazu flinke Rap-Sequenzen, teils in Rollenspielen leichter Arroganz dargeboten. Das geht direkt ins Tanzbein, ein weiterer Anspieltipp. „Bark Loud“ funktioniert ebenso, mit langsamen Tiefbässen im Refrain; nur die monotone Rap-Tonhöhe ermüdet hier stellenweise. Die Zusammenarbeit „Views“ mit den Musikern Reo Cragun und Rousso wirkt ebenfalls etwas geschäftig, die wiederholte Refrainzeile „Shit just hit the Fan“ bleibt allerdings rhythmisch im Gedächtnis. Das perkussive „Knockout“ pendelt zwischen Minimal-Dub und flinken World-Music-Elektro-Elementen. Die Upbeat-Nummer „No News on TV“, zusammen mit Rousso produziert, hat als einziger Song des Albums einen „klassischeren“, teils gesampelten Schlagzeug-Rhythmus und webt stellenweise einen verfremdeten E-Bass und Funk-Gitarrenlicks ein.
„Fire Kites“ entwickelt mit einer minimalistischen Melodie der Refrainzeile und durch den Rhythmus einen zwingenden Sog. Beeindruckend ist in dem Zusammenhang ein kürzlich veröffentlichtes Video: Bei einer Live-Performance samt aufwendig choreografierter Performance mit Tänzern zündet der Rhythmus noch mehr.
„Switch Me Off“ schließt die Sammlung aus 13 Stücken (samt zehnsekündigem Intro) mit einem langsamen R&B-Elektro-Stück samt Tiefbass-Synth. Verhaltene Streicher-Elemente finden im Hintergrund statt, dazu ein Hammond-Orgel-Sound sowie Theremin-artige Klänge. Der unkonventionelle Stilmix funktioniert hier ebenfalls. Woher bei der Musik die Gelassenheit statt der Genre-typischen Selbstdarstellung kommt, bleibt offen, möglicherweise entstammt sie der eigenen musikalischen Vielfalt: Erez hat dem Vernehmen nach 2011 ein akustisches Album im Bereich Jazz aufgenommen, kurz vor Fertigstellung verwarf sie das Projekt, entschied sich stattdessen, im Elektrobereich Musik zu machen.
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Energetische und zeitlose Produktion
Das Album lässt sich am besten als ein sanfter Dampfhammer beschreiben, der behutsam, aber definiert auftrifft: Die Produktion ist wagemutig ohne Angst vor Konventionen ausgeführt, allerdings nicht kopflos oder gar ignorant – die Einzelklänge sind plastisch gut wahrnehmbar, das Stereobild gut austariert. Tiefbässe schieben eindrucksvoll und mit Kraft, im Vergleich zu den häufig bassreduzierten Produktionen zugunsten von mehr Lautheitskompression. Gleichzeitig wummert nichts. Der Schlüssel zu dem energetischen Gesamtgefühl liegt darin, dass die Feindynamik weitgehend erhalten bleibt. Höchstens in Ansätzen erscheinen einzelne Elemente anstrengend, das Höhenspektrum insgesamt vielleicht einen kleinen Hauch überpräsent. Interessant: Auf Hall verzichtet die Abmischung beim Gesang fast durchgängig. Einzelne Gesangselemente pendeln im Stereobild als beabsichtigte Effekte, im letzten Stück, „Switch Me Off“, ist der Gesang bewusst in einer leicht verschobenen Phasenlage im Stereobild untergebracht, um einen breiteren Effekt zu erzielen – was für das Stück gut funktioniert. Damit bildet die Produktion eine geschlossene Einheit zur begeisternd ungewöhnlichen Musik. Im Vergleich zum Debüt-Album „Off The Radar“ ist „KIDS“ noch ausgereifter und homogener. Trotz extrovertierter Ansätze lässt es sich dank der für das Genre immer noch dynamischen Abmischung gut durchhören. Nora Erez spielt gesanglich in Ansätzen mit Attitüden, bleibt dabei aber weit vom üblichen Bling-Bling-Gehabe weg. Die Musik funktioniert als Gesamtkunstwerk, sie stellt kein Instrumentalbett dar, das den Performer hofieren und darstellen soll. Das alles macht umso mehr Lust auf das, was die Musikerin wohl als nächstes liefern wird.
Noga Erez – KIDS
TESTERGEBNIS | Punkte |
Musik | 9 |
Klang | 9 |