Der 41-jährige Singer-Songwriter Nathaniel Rateliff aus Denver hat mit „And It’s Still Alright“ gerade sein viertes Solo-Album veröffentlicht. Dazwischen war er mit der Indie/R&B-Combo Nathaniel Rateliff & The Night Sweats erfolgreich. Das aktuelle Studioalbum ist laut Plattenfirma unter dem Eindruck persönlicher Schwierigkeiten entstanden – dem Ende von Rateliffs Ehe sowie dem Tod seines Freundes und früheren Produzenten Richard Swift, der während der Aufnahmen verstarb.
Der erste Track „What a Drag“ beginnt zunächst harmonisch noch relativ monoton, mit schleppend gehaltenem R&B-Tom-Rhythmus und Fingerschnippen, und geht schließlich im Refrain auf. Musikalisch haucht eine eingängige Gitarrenmelodie zusätzliche, fast frühlingshafte Leichtigkeit abseits leichter Melancholie ein, was Hoffnung vermittelt. Das gilt ebenso für Rateliffs leicht knödeligen, charismatischen Gesang, der trotz schwerer Themen leicht positiv klingt.
Zwischen Springsteen und Country
Im Titelsong „And It’s Still Alright“, flott und melancholisch mit Pedal-Steel-Gitarre und breiten Orgel-Sounds gehalten, erinnert Nathaniel Rateliff stimmlich grob an eine besonders ‚nölige‘ Version von Bruce Springsteen. Das Stück thematisiert das Annehmen und Verarbeiten von Swifts Tod. Musikalisch mit leichtem Country-Einschlag und Johnny-Cash-Rhythmus gehalten, demonstriert Rateliff dabei besondere Songwriting-Fähigkeiten – ein echter Anspieltipp. Das noch intimer gehaltene „You Need Me“ setzt auf ähnliche Rhythmik, mit schönem melodiösem Abgang. „Time Stands“ kombiniert unverbrauchte Moll-Harmonien, umgesetzt mit Akustikgitarre, Orgel und Streichern. Im Refrain gestellt sich ein peitschendes, langsames Schlagzeug hinzu, das Rateliffs wehklagenden lauten Gesang untermauert – ebenfalls ein toller Song.
Bei dem akustisch-minimalistischen „Kissing Our Friends“ klingt die Stimme von Nathaniel Rateliff allerdings besonders nasal, was natürlich Geschmackssache ist. „All Or Nothing“, eine Akustikballade, beeindruckt ebenso mit dem Mix aus gelungenem, zurückhaltendem Akustik-Pattern, süßlichen Streichern, Glockenspiel, bedämpftem Bass und einem Bassdrum- und-Shaker-Rhythmus, der wie auf Zehenspitzen daherkommt. Die Mischung klingt unverbraucht und spannend – ein weiterer Höhepunkt des Albums.
R&B-Stomper

Mit „Expecting to Lose“ liegt dann ein Upbeat-Song vor, wieder mit Rhythm & Blues-Rhythmus, allerdings auch mit kräftigerem Gesang, Mitsing-Passagen und interessanten Akustik-Slide-Gitarrenriffs. Die Nummer entwickelt sich schließlich zum Stomper, bei dem unweigerlich der Fuß mitwippt. Das zeigt in höchst angenehmer Art und Weise die große Bandbreite eines Nathaniel Rateliff auf. Bei „Tonight #2“ handelt es sich abermals um einen Song mit Springsteen-Anklängen. Der Gesang ist hierbei etwas brüchiger und weniger ‚nölig‘– ein komplexes Akustik-Pattern, Streicher und Chorgesänge. Die Ballade berührt mit ihrem musikalischen Tiefgang unausweichlich. „Mavis“, eine zunächst zurückhaltende R&B-Nummer, geht mit gedoppeltem Schlagzeug und euphorischem Chor auf, bevor wieder Ruhe einkehrt – ein interessanter dynamischer Mix, und ein gelungenes Experiment.
„Rush On“, das wiederum den Tod seines Freundes und Produzenten thematisiert, ist mit gut sechs Minuten das längste Stück des Albums. Mit viel Hall und langsamer, dezenter und doch fast stoischer Rhythmik sowie bedeckten Klängen wirkt es ätherisch, fast wie in einer Kapelle bei einem Abschiedsgottesdienst. Dazwischen blitzen verzerrte, experimentelle Gitarren-Einwürfe auf, schließlich setzen tragende Streicher- und Orgelklänge ein. Das bewegt, liefert einen würdevollen Abschied und gleichzeitig einen Hoffnungsschimmer, dass das eigene Leben trotz allem irgendwie weitergeht.
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Und der Klang?
Der musikalisch angedeutete Retro-Indie-Sound wird auf dem brandneuen Album von Nathaniel Rateliff passend umgesetzt; keine ‚silbrigen‘ Höhen, keine ultratiefen Bässe, dennoch nicht dumpf belegt. Keine Frequenzanteile stören. Die einzelnen Signale sind solide und mit angenehmer Tiefenstaffelung umgesetzt, das transportiert die Atmosphäre in angenehmer Manier. Die Qualität erreicht allerdings nicht das Niveau etwa stilistisch ähnlicher Joe-Henry-Produktionen. Das steht dem Hörgenuss der Stücke an sich aufgrund des grundsätzlich ‚schlüssigen‘ Klangs dennoch keinesfalls im Wege.
NATHANIEL RATELIFF – AND IT’S STILL ALRIGHT
TESTERGEBNIS | Punkte |
Musik | 8 |
Klang | 7 |