Audeze ist es gelungen, das Klangkonzept seiner exzellenten magnetostatischen Over-Ear-Kopfhörer auf das In-Ear-Format zu übertragen.
Der amerikanische Kopfhörer-Spezialist Audeze hat sich in der High-End-Szene durch seine hochgelobten Kopfhörermodelle mit magnetostatischen Treibern einen – im Wortsinne – klangvollen Namen gemacht. Allerdings wollten sich die Amerikaner wohl nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen und haben jüngst die beiden In-Ear-Modelle iSine10 und iSine20 vorgestellt, die ebenfalls auf das magnetostatische Wandlerprinzip zurückgreifen. Damit ist Audeze der erste Hersteller, der diesen Schritt wagt. In diesem Test haben wir uns den größeren iSine20 vorgenommen, dessen UVP bei 699 Euro liegt. Das ist für einen In-Ear-Hörer zwar ein stattlicher Preis, doch ist der angesichts der klanglichen Ergebnisse mehr als gerechtfertigt, wie wir sehen werden.
„Das Auge hört mit“, mag man denken, wenn man den iSine20 aus der Verpackung nimmt. Die Optik ist in braun-gold-schwarz gehalten und wirkt sehr edel und hochwertig.
Wegen der großflächigen Membran ist der iSine20 deutlich größer als Ohrhörer dynamischer Bauart. Dem Tragekomfort tut dies jedoch keinen Abbruch, das Gewicht ist nicht spürbar höher als bei anderen Modellen. Im Gegenteil, wir hatten immer das Gefühl, dass sich der iSine20 merkbar angenehmer trägt als viele dynamische Mitbewerber. Dies liegt wohl vor allem an der cleveren Konstruktion des Hörtubuses, der leicht in Richtung des Gehörgangs abgeschrägt ist und damit für einen besseren Sitz sorgt. Zusätzlich zu den mitgelieferten Ohrpassstücken aus Silikon (in drei verschiedenen Größen) wird der Kopfhörer mittels spezieller Klammern, die wahlweise innen oder außen an der Ohrmuschel anliegen, befestigt. Dadurch lastet das Gewicht nicht nur auf dem Gehörgang, was den Tragekomfort deutlich spürbar erhöht. Auch nach mehrstündigem Einsatz verursachte der iSine20 keine Druckstellen oder Schmerzen. Lediglich das korrekte Auf- beziehungsweise Einsetzen erfordert ein wenig Übung. Auf dem mitgelieferten USB-Stick ist eine Bedienungsanleitung als pdf gespeichert, die aber lediglich verbale Tipps zur Verwendung der Befestigungsklammern gibt. Wir hätten uns an dieser Stelle eine kleine Grafik gewünscht. Stattdessen haben wir uns an der Photographie an der Innenseite der Verpackung orientiert.

Neben dem USB-Stick und den Klammern gehört noch ein mit Schaumstoff ausgeschlagenes Kunststoffcase samt passendem Nylonbag zum Lieferumfang. Um den iSine20 in dem Case zu transportieren, müsste man die äußeren Befestigungsbügel allerdings wieder entfernen. Um zu vermeiden, dass die Bügel dabei abbrechen, raten wir davon ab. Wer mit dem iSine unterwegs ist, sollte also besser auf das Case verzichten und nur die Nylontasche verwenden.
Das mitgelieferte flache Kabel ist wie bei vielen hochwertigen In-Ears austauschbar. Störende Körperschall-Geräusche erzeugt das Kabel nicht. Weil die offenen magnetostatischen Treiber Außengeräusche jedoch so gut wie gar nicht dämpfen, ist der iSine 20 als offener Hörer für den Einsatz in lauter Umgebung nicht geeignet. Auch in der Bibliothek sollte man den iSine20 besser nicht benutzen, da umgekehrt auch viel Schall nach außen dringt. Überall sonst und natürlich auch an der heimischen Stereoanlage macht der iSine20, soviel sei vorweggenommen, eine mehr als gute Figur, allerdings fehlt der obligatorische 6,3 mm-Adapter. Mit dabei sind hingegen eine kleine Reinigungsbürste samt Ohrenschmalzentferner sowie eine Trageklammer für das Kabel.
Innenleben
Wie bei magnetostatischen Kopfhörern üblich, schwingt beim iSine20 eine hauchdünne, extrem massearme und damit sehr schnell zu beschleunigende Membran zwischen zwei Magnetgittern. Audeze verwendet für dieses Modell kräftige N50 Neodym-Magnete. Die sogenannte Fluxor-Anordnung soll für einen besonders homogenen Antrieb der Membranen sowie ein exzellentes Impulsverhalten sorgen. Der für einen In-Ear-Kopfhörer außergewöhnlich große Durchmesser des Schallwandlers von 30 mm sorgt außerdem für eine homogene und detaillierte Wiedergabe. Vorteilhaft ist die Größe des Schwingkörpers außerdem für die Basswiedergabe, wie wir im nächsten Absatz sehen werden. Die Impedanz liegt bei für portable Geräte gut geeigneten 24 Ohm, die Belastbarkeit ist mit 3W für ein In-Ear-Modell sehr hoch. Der Klirrfaktor wird mit <0,1% angegeben.

Klang
Die technischen Beschreibungen sind schnell vergessen, wenn man sich den ersten klanglichen Eindrücken des iSine20 hingibt. Man sollte den Kopfhörern vorher allerdings unbedingt einige Stunden zum Einbrennen gönnen, denn schließlich wird sich auch kein 100 Meter-Läufer ohne Aufwärmprogramm an die Startlinie begeben. Hat man dies einmal erfolgreich absolviert, ist der iSine20 bereit, seine klanglichen Muskeln spielen zu lassen. Bei praktisch allen musikalischen Stilrichtungen gelingt es dem iSine20, seine großen Stärken auszuspielen. Die Bässe elektronischer Clubmusik beispielsweise werden voluminös und dennoch akkurat wiedergegeben, ohne dabei zu dominant und stampfend zu wirken. Dabei büßt der iSine20 auch bei hoher Lautstärke nichts an Souveränität ein. So wird er selbst von das Frequenzspektrum weit auslotenden Produktionen wie „Surf Solar“ (das Intro aus des Fuck Buttons-Albums Tarot Sport) nicht aus der Facon gebracht. So kann der Hörer dem Weg des bissigen Synthesizer-Stakkatos durch das Stereopanorama exzellent folgen, während das Bass-Fundament seinen Druck ausübt, ohne dabei nervtötend zu dröhnen.

Diese Vorzüge machen beim Hören nicht nur Spaß, sondern helfen auch dabei, die Aufnahmequalität vieler Produktionen noch einmal neu zu beurteilen. So hatten wir bei Glenn Goulds Einspielung der „Kunst der Fuge“ von Johann Sebastian Bach das Gefühl, jedes einzelne Klangregister der Orgel präzise im Raum orten zu können, ohne dass es zu einer Überlagerung einzelner Stimmen gekommen wäre. Auch hier verblüfft die tonale Ausgewogenheit. Weder sind die Pedaltöne zu dumpf oder dominant, noch die hohen Pfeifen zu schrill, woran auch der Dreh am Lautstärkeregler nichts ändert. Bei der Beschreibung des klanglichen Eindrucks muss man fast so weit gehen zu sagen, dass man so schnell wie bei keinem anderen bislang von uns getesteten In-Ear-Modell vergisst, dass man überhaupt einen Kopfhörer trägt. Auch Nicht-Gitarristen werden glauben, beim Schnarren der Saiten auf den Bundstäbchen im Outro von Alice Coopers „Blue Turk“ (zu finden auf dem 1972er Album „School’s Out“) das Instrument auf dem eigenen Schoß zu halten.
Selbstredend haben wir in den Hörtest als Referenz immer wieder den LCD-X von Audeze zu Rate gezogen. Und der iSine20 kann diesem Vergleich durchaus standhalten. Zwar bleibt der große Bruder überlegen, wenn es beispielsweise um die Plastizität der Anblaslaute bei Erik Truffaz‘ „Al Mediodia“ geht. Auch wirken Murcofs Percussionsounds in derselben Aufnahme mit dem LCD-X gehört noch einen Hauch souveräner. Doch Auflösungsvermögen und Impulsverhalten des iSine20 liegen auf äußerst hohem Niveau und letztendlich sind die Unterschiede zur derzeitigen Referenz überraschend gering. Der iSine20 ist ein absolut vollwertiger Vertreter der Klangphilosophie von Audeze – mit allen Vorzügen des magnetostatischen Wandlerprinzips.
Fazit
Gleichgültig ob am hochwertigen DAP, Smartphone plus Highres-App oder mit erstklassigen Kopfhörerverstärkern an der heimischen Stereoanlage betrieben, der iSine20 gehört zweifellos zum Besten, was wir im Bereich der In-Ear-Hörer bis dato getestet haben. Die Klangfülle, die hervorragende Abbildung der Räumlichkeit und die souveräne, detailverliebte Wiedergabe überzeugen auf ganzer Linie.
STECKBRIEF AUDEZE ISINE20
Gewicht 20 g
Preis 649 €
BAUWEISE/AUSSTATTUNG
Wandlerprinzip 30 mm magnetostatischer Treiber
Bauweise halboffen, In-Ear
Anschlusskabel 1.5 m Flachkabel
Stecker 3.5mm vergoldet, gerade
Adapter Nein
Impedanz 24 Ohm
Aufbewahrung Tragetasche
BEWERTUNG AUDEZE ISINE20
KLANG | Punkte |
Neutralität (2x) | 85 |
Feinzeichnung (2x) | 85 |
Impulsverhalten | 86 |
Räumlichkeit | 85 |
Dynamikverhalten | 84 |
Basstiefe | 85 |
TESTERGEBNIS | |
Klangqualität (60%) | 85 |
Tragekomfort (20%) | 80 |
Verarbeitung (10%) | 80 |
Ausstattung (10%) | 78 |
Testurteil | 82,8 |
Preis-Leistung | sehr gut – überragend |