Im Frühjahr 2020 veröffentlichte der Indie-Folk-Musiker Jonathan Wilson sein siebtes Album „Dixie Blur“ (zur Plattenkritik). Der in Kalifornien lebende US-Amerikaner verfolgte damit seine Erfahrungen im Folk-, Country- und Bluegrass-Bereich weiter, die er bereits vor knapp 20 Jahren sammelte – eine deutliche Abwechslung zum Psychedelic-Folk/Rock seiner letzten Veröffentlichungen. Auf der aktuellen EP „El Camino Real“ finden sich drei der 14 Songs des Albums, dazu legt er aus den Sessions in Nashville noch drei weitere Stücke nach. Nicht zuletzt dank der hohen Qualität von Musik und Klang der ursprünglichen Platte ein Grund mehr, uns auch der EP zu widmen.
Jonathan Wilson liefert flinke Bluesgrass-Hatz
Den Titelsong – sozusagen eine ‚Single‘ aus dem „Dixie Blur“-Album – nahm Jonathan Wilson lange vor seiner Karriere bereits in einer anderen Fassung auf, als er in New York in einer Bluesgrass-Band gespielt hatte. Nun also offiziell veröffentlicht, aus den Aufnahmen in Nashville samt ausgewählten Gastmusikern. Das Ergebnis klingt nach einem belebten Scheunenfest mit flott tanzenden Menschen in einer amerikanischen Großstadt irgendwann um die Gründerzeit: Die beeindruckend gespielte Fiddle von Mark O’Connor, dazu Snare-Besen, Kontrabass, Akustikgitarre, E-Gitarre und Klavier vermitteln gute Laune, hetzen allerdings gegen Ende fast rastlos durch den Heuschober, dass es einem beinahe schwindlig werden könnte.
Melancholischer Songwriter-Folk
„The Woods Are Greener“, eine Country-Folk-Ballade, hatte Jonathan Wilson ebenfalls bereits in einer früheren Fassung aufgenommen, im 1950er-Country-Stil mit Rim Click und angezerrtem E-Gitarren-Picking. Die neue Version bleibt von Akustikgitarren getragen, mit lediglich dem Kontrabass als akzentuiertem Rhythmus. Darüber der beruhigend-erzählerisch singende Jonathan Wilson, der in gelungenen Metaphern über Lebenswege und Zeit sinniert. Mark O’Connor ergänzt wieder mit spektakulär passender Fiddle Melodien, im Hintergrund deutet eine Hammond-Orgel ein Fauchen an; der nicht auf dem Album enthaltene Song ist einer von Wilsons stärksten Tracks überhaupt, und allein schon Kaufgrund genug für die El Camino Real EP.
„Pirate“ pflügt sich fast in Zeitlupe mit Rim-Click-Rhythmus voran, mit angenehm ruhigem Gesang von Jonathan Wilson versehen – im Refrain geht das Stück atmosphärisch auf. „Platform“ , mit klarer Mundharmonika ergänzt, erinnert mit seinem Besen-Rhythmus in Richtung einer fleißigen Lokomotive entfernt an Mark Knopflers „Sailing to Philadelphia“, dazu gesellt sich Percussion mit World-Music-Touch, bevor Mellotron-Sounds den Ausklang übernehmen. „Demon“, ebenfalls schon vor Wilsons Karriere aufgenommen, bleibt in der aktuellen Version am nächsten an seiner ursprünglichen Variante: Ein langsamer Rim-Click mit Bassdrum, Pedal Steel Guitar und eingeflochtene Klaviertöne lassen Wehmut am späten Abend in einer Country-&-Western-Bar aufkommen, vor dem letzten schalen Bier ohne Kohlensäure auf einer abgewetzten, dunkelbraunen Holztheke – ein unaufgeregtes, gelungen zeitloses Stück.
„Non But Us“ ist noch langsamer, melancholischer, mit sachte psychedelisch angehauchter, cleaner E-Gitarre und einer ruhigen Hammond-Orgel; einzelne Solo-Einwürfe lassen Wilsons Pink-Floyd-Einflüsse anklingen. Der Song wirkt fast skelettartig reduziert, skizzenhaft, und hüllt trotzdem ein. Hat bereits das Album „Dixie Blur“ Wilsons Songwriter-Fähigkeit eindrucksvoll untermauert, unterstreicht die El Camino Real EP besonders mit den Songs „The Woods Are Greener“ und „Demon“ den Anspruch des Jonathan Wilson auf Zeitlosigkeit im Songwriter-Kanon.
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Gelungene Klangweite
Klanglich ist das Ergebnis hochwertig: Die gemeinsame Aufnahme der beiden Tracks in einem großen Raum gibt die gefühlte Prärie-Weite in berührender Atmosphäre wieder. Die einzelnen Instrumente und Wilsons Stimme klingen verhältnismäßig greifbar, sind jedoch nicht so dreidimensional ‚greifbar‘ produziert wie andere Songs des Albums (etwa „‘69 Corvette“). Nur die ‚Bluegrass-Hatz‘ wirkt in Arrangement und Mix fast aufdringlich flott, sodass einzelne Elemente den Hörer mitunter irritieren können. Das bleibt ein zu verschmerzender Wermutstropfen einer hervorragenden Sammlung an Songs in sehr gutem klanglichen Gewand.
JONATHAN WILSON – EL CAMINO REAL
TESTERGEBNIS | Punkte |
Musik | 10 |
Klang | 9 |