Interview Tom Ammermann – Mit Kraftwerk in die Atmos-Sphäre

Es gibt kaum eine andere Band, erst recht nicht aus Deutschland, die in Sachen elektronischer Musik vergleichbare Standards gesetzt hat wie Kraftwerk. Letztes Jahr ist eine opulente Box erschienen, die das Gesamtwerk als 3D-Audio im Dolby Atmos und Headphone Surround 3D Format beinhaltet.

 An dieser Neuveröffentlichung war Tom Ammermann, der als Geschäftsführer von New Audio Technology das 3D Plug-in Spatial Audio Designer entwickelt hat, ganz wesentlich beteiligt. In seinem Studio ist gemeinsam mit dem Kraftwerk-Mitglied Fritz Hilpert eine neue Mischung aller Kraftwerk-Alben von „Kraftwerk 1“ bis „Tour de France“ entstanden.

Als Tom zum Interview erscheint, ist er in bester Laune, schließlich hat er gerade erfahren, dass er neben Fritz Hilpert für diese Produktion für den Grammy 2018 in der Sparte „Best Surround Sound Album“ als Mastering Engineer nominiert ist.

? Hallo Tom. Erst einmal herzlichen Glückwunsch zur Nominierung für „Kraftwerk 3-D Der Katalog“. Worin unterscheidet sich Eure Produktion von den bereits veröffentlichten Alben von Kraftwerk?

! Tom: Die Unterschiede betreffen sowohl die Audioformate als auch das musikalische Material. Es handelt sich um eine Musikproduktion in dreidimensionalem Dolby Atmos und Headphone Suround 3D. Dolby Atmos kennen die meisten Leser wohl nur aus dem Kino. Aber Fritz hat nicht einfach nur die alten Aufnahmen genommen und irgendwie ‚auf 3D gezogen’, sondern hat auch unter der Nutzung von Live-Aufnahmen echt jeden einzelnen Song neu gemischt, wodurch gewissermaßen ein Hybrid aus Studio- und Live-Album entstanden ist.

? Heißt das also, dass es eins von euren Zielen war, den Sound, den Kraftwerk live bieten, nun auf Blu-ray zu bannen?

! Tom: Ja, das kann man auf jeden Fall so sagen. Kraftwerk überschwemmen den Markt zwar nicht gerade mit Neuveröffentlichungen, geben aber teilweise bis zu 70 Konzerte im Jahr. Und wer diese Konzerte mitverfolgt hat, weiß, dass sich der Sound der Band mit den Jahrzehnten auch verändert hat und moderner geworden ist. Manches Material auf der Blu-ray stammt wie gesagt original von diesen Konzerten, worauf man auf Anhieb gar nicht kommt, weil das Publikum nicht zu hören ist.

? Du giltst in der Branche ja als absoluter Experte auf dem Gebiet von 3D-Audio. Würdest du sagen, dass sich die Musik von Kraftwerk besonders gut für dieses Format eignet?

! Tom: (schmunzelnd)Auf jeden Fall! Ich bin fest davon überzeugt, dass 3D-Audio für Kraftwerk erfunden wurde.

? Woran liegt das?

! Tom: Zum einen ist die Technik oder der technische Fortschritt schon seit jeher bei Kraftwerk ein Thema gewesen. Was die Musik jedoch so besonders macht, ist die Vielzahl von Sounds und Nuancen, die man gut für den Hörer nachvollziehbar dreidimensional bewegen kann…

? … also die 3D-Elemente nicht nach Effekthascherei klingen?

! Tom: Ja, ganz genau. Dieses Problem ist leider in der Historie von Musik-Surroundmischungen einige Male vorgekommen, so dass man als Hörer das Gefühl hat, irgendwelche Signale  werden da sinnlos herumgeschubst. Die Musik von Kraftwerk wiederum hat mir eine einmalige Gelegenheit gegeben, kreativ mit den Objektfahrten umzugehen. Ich spreche in diesem Zusammenhang auch gerne von Plausibilität. Damit meine ich, dass bei einer Mischung in 3D der Gesamteindruck homogen bleiben muss. Unrealistische Effekthascherei gilt es dabei tunlichst zu vermeiden. Glücklicherweise teilt Fritz diesen Gedanken, was in den Mischungen auch deutlich zu hören ist.

? Wie sah der Arbeitsprozess bei euch genau aus? Ich kann mir kaum vorstellen, dass Fritz Hilpert die alten Synthesizer alle mit in dein Studio gebracht hat.

! Tom: Nein, so war es auch nicht, denn Fritz hat vor einigen Jahren schon die ganzen Sounds von früheren Kraftwerk-Stücken auf Software-Basis abgesampelt. So brauchte er entsprechend auch nichts weiter als seinen Laptop und sein Keyboard mitzunehmen und wir konnten loslegen.

 ? Sonst hatte er nichts dabei, außer dem Rechner und einer Tastatur? Keine Controller oder so?

! Tom: Nein, solche Controller mit Fadern und Reglern hatte er wirklich nur am allerersten Tag dabei. Dann hat sich jedoch gezeigt, dass es zu lange dauert, das bei jedem Track neu einzurichten und so ist der Rest nur mit Tastatur und Maus entstanden.

Ein Blick in die Luna Studios vom Tom, wo die Aufnahmen entstanden sind. Die 3D-Anordnung der Boxen ist gut zu erkennen. Von Tom’s Rechner (links) besteht eine LAN-Verbindung zur Rendering Mastering Unit von Dolby.

? Wie sind eure Studiosessions abgelaufen, inwieweit warst du involviert in die Mischung, die Fritz gemacht hat?

! Tom: Nun, Fritz ist ja immerhin schon seit gut 25 Jahren bei Kraftwerk dabei und seine Art zu mischen, hat den Sound, für den die Band bekannt ist, ja ganz wesentlich mitgeprägt. An manchen Stellen habe ich meine Ideen eingebracht, die er dann teilweise auch übernommen hat. Manchmal hat er mich auch explizit nach meiner Meinung gefragt. Im Großen und Ganzen habe ich mich während Fritz‘ Arbeit jedoch mit Anmerkungen zurückgehalten, weil ich seinen Flow nicht zu sehr stören wollte. Musikproduzenten arbeiten meist auf eine ganz bestimmte akustische Vision hin und da habe ich es immer für das Beste gehalten, ihn die erst einmal umsetzen zu lassen.

 ? Wie ist der Kontakt zwischen euch überhaupt zustande gekommen?

! Tom: Zusammengebracht hat uns Fritz Fey vom „Studio Magazin“. Durch ihn kam ich auf die Idee, den von mir entwickelten „Spatial Audio Designer“ an Fritz Hilpert zu schicken. Die Reaktion darauf war sehr positiv. Als er mir dann erzählte, dass Kraftwerk eine neue Produktion plant, habe ich gefragt, welches Audio-Format ihnen denn vorschwebt. Sie hatten zunächst das gängige Blu-ray-Format, also 7.1 im Auge. Mein Vorschlag war es dann, es direkt in 3D, also Dolby Atmos und Headphone Surround 3D zu machen, womit alle einverstanden waren.

? Hat Dolby selber das Projekt auch unterstützt? 

! Tom: Ja, in der Tat war uns die Kooperation von Dolby eine große Hilfe. Nachdem ich das O.K. von Kraftwerk hatte, habe ich mir auf der IBC in Amsterdam den Geschäftsführer von Dolby Germany, Andreas Ehret geschnappt, und ihm von unserem Vorhaben erzählt. Er war sofort hellauf begeistert davon.

? Wie ging es dann weiter? 

! Tom: Fritz hat dann angefangen, sich auf unsere Zusammenarbeit vorzubereiten, in dem er bei sich eine 7.1.2 Mischung der Kraftwerk-Titel angefertigt hat. Im Studio von mir wurde daraus dann die Dolby Atmos Mischung, die ich dann gemastert und encodet habe.

Die Band Kraftwerk in der aktuellen Besetzung: Ralf Hütter, Henning Schmitz, Fritz Hilpert und Falk Grieffenhagen (v. l. n. r.)

? Das heißt also, ihr habt an zwei Workstations gearbeitet, die miteinander verbunden waren?

! Tom: Fritz hat mit seinem Nuendo-System und den darin integrierten Software-Samplern neben mir gesessen und die Mischung in 7.1.2 gemacht. Die hat er dann inklusive einiger extra Objekte über MADI an mein Pro Tools-System geschickt, wo ich den Atmos Panner für die Objekte ins Spiel gebracht habe. Per MADI konnten wir mit einer Leitung bis zu 64 Kanäle hin und her schicken, mehr haben wir auch nicht gebraucht.

? Welcher technische Sprung besteht zwischen 7.1 und Atmos?

! Tom: Dolby Atmos ist ein sogenanntes hybrides Format, dass aus einem bed, in dem Falle also dem 7.1.2, und den Objekten besteht. Im bed ist jeder Kanal explizit einem oder mehreren Lautsprechern zugeordnet, während die Objekte, abhängig von ihren jeweiligen Koordinaten, von mehreren Lautsprechern zu unterschiedlichen Anteilen wiedergegeben werden und sich natürlich auch bewegen können. Aktuell kann Dolby Atmos bis zu 118 Objekte nutzen.

 ? Und die Bewegung dieser Objekte regelt der von dir mitentwickelte Spatial Audio Designer?

! Tom: Für Atmos derzeit nicht, aber er bietet das 7.1.2 Bed an. Objekte kann man nur mit Atmos Pannern kreieren, wie sie in die neueste Pro Tools Version 12.8 integriert sind. Die Idee für den Spatial Audio Designer kam mir so vor ungefähr acht oder neun Jahren, als ich schon an 3D-Produktionen für Sony gearbeitet habe, bei denen mir ein geeignetes Panning-Tool gefehlt hat. Sowohl Fritz als auch ich haben den SAD dann bei unserer Produktion verwendet, er in seinem Nuendo und ich mit Pro Tools.

? Du sagtest vorhin, dass die Neuveröffentlichung des Kraftwerk-Katalogs ursprünglich in 7.1 gemischt werden sollte. Ist eure Dolby Atmos-Version eigentlich die erste Musikproduktion in diesem Format, das man ja sonst nur für Kinofilme verwendet ?

! Tom: Es ist nicht die allererste Musikproduktion in Dolby Atmos, zu dem Zeitpunkt, wo wir mit der Produktion begonnen hatten, also im Sommer 2015, hatte es das vorher auch schon ein oder zwei Mal gegeben, wobei diese anderen Veröffentlichungen einen eher filmischen Approach hatten.

? Was ist denn der Unterschied, ob man  Audio für einen Film produziert oder eine Blu-ray zum Hören?

! Tom: Genau das war eine der Herausforderungen. Da die Mischungen für einen Film auch auf dessen volle Länge ausgelegt sind, war die Produktion einer Blu-ray, bei der der Hörer sowohl einzelne Stücke anwählen als auch die kompletten Alben hören kann, eine große technische Herausforderung. Mein großer Dank geht in diesem Zusammenhang an die Firma Enteractive, die die von mir erstellten Encodes auf die Blu-rays geschubst und dafür gesorgt hat, dass mit dem 3D-Katalog von Kraftwerk ein in sich stimmiges Gesamtpaket entstanden ist.

Tom Ammermann zusammen mit Ekkehard Kruckenberg (links), dem Technical Director von Enteractive in Hamburg, dem Blu-ray Authoring Studio

? Wie sieht es mit dem Dynamikunterschied zwischen einer Blu-ray mit einem Kinofilm und den von euch produzierten aus?

! Tom: Hier bestand die große Herausforderung für mich darin, einen Pegel zu finden, der sich mit anderen handelsüblichen Blu-rays gut vergleichen lässt. Ich will natürlich nicht, dass jemandem, der vorher „Das fünfte Element“ geguckt hat, die Ohren wegfliegen, wenn er die Blu-ray von Kraftwerk einlegt. Bei der allerersten Version unserer Mischung ist eher das Gegenteil passiert. Die hat bei mir im Studio granatenstark geklungen, als wir die aber bei Enteractive in den Home-Cinema Receiver eingelegt haben, war uns sofort klar, dass wir da noch mehr Druck brauchen.

? Das heißt also auch, dass die Mischung anders ausgesehen hätte, wenn du statt für eine Blu-ray einen Kinofilm abgemischt hättest? 

! Tom: Das ist in der Tat so. Kinofilme werden in einem hundertprozentig vermessenen Studio, einer sogenannten dub stage gemischt. Das Endergebnis ist dann logischerweise auch auf die Säle abgestimmt. Dieses Verfahren kann man aber nicht anwenden, wenn die Mischung auf den kleineren Anlagen laufen soll, die Leute wie  du und ich zu Hause stehen haben.

Wir haben aber nach der Blu-ray Mischung doch noch eine Version fürs Kino gemacht, die bisher aber nur am Tag des Release der Produktion in sechs deutschen Kinos gezeigt wurde. Es ist zur Zeit aber ein offizieller Kino-Release in Planung. Diese Kinofassung kam zustande, nachdem ich wegen einer anderen Geschichte in der Dolby Atmos Dub Stage des Kameraherstellers ARRI in München war und dem Chef der Tonabteilung Daniel Vogl von meinem Kraftwerk-Projekt erzählt habe. Ich hatte meinen Produktionsrechner dabei, den wir schlicht dann an deren Dolby Atmos RMU (Rendering Master Unit) angeschlossen haben. Als Daniel das hörte, war er davon so angetan, dass er sofort eine Kinoversion davon machen wollte. Da die Jungs von Kraftwerk das auch für eine gute Idee hielten, haben wir kurzer Hand 7 Tage dort eingeplant und zusammen mit dem ARRI-Cheftonmeister Tschangis Chahrokh den Mix nochmal für Kinos angepasst.

? Nun sind auf den Blu-ray Discs neben der Dolby Atmos-Version ja alle Tracks wie erwähnt auch in Headphone Surround 3D. Was hat es damit auf sich?

! Tom: Headphone Surround 3D ist eine Brand von mir, welche ich mir schon zu meinen Anfangszeiten mit binauralen Mischungen, das war im Jahr 2000, zugelegt habe. Neben unserer binauralen Virtualisationstechnik steckt dahinter auch meine Leistung als Mischer, wovon diese Kraftwerk Produktion, ausgehend von den Atmos Mischungen, sehr profitiert hat. Nicht viele Menschen haben Surround oder gar 3D Anlagen zuhause, aber mit einem Kopfhörer kann man diese Produktion z.B. auf Spotify als Headphone Surround 3D Versionen sofort in 3D erleben.

? Anders als bei Dolby Atmos, für das ich als Hörer ein spezielles Equipment benötige, kann ich also mit jedem beliebigen Kopfhörer in den Genuss des Headphone-Surround 3D-Sounds kommen?

! Tom: So ist es, das funktioniert mit jedem Kopfhörer und sogar im mp3-Format.

? Tom, vielen Dank für das Gespräch und viel Glück für die Grammy-Verleihung!

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