Dass man den Franzosen nicht zeigen muss, wie solide Electro-Mucke geht, ist wohl seit den frühen 2000ern kein Geheimnis mehr – ebenso wenig wie die Tatsache, dass Frankreich mittlerweile immer öfter internationale Standards setzt, wenn es um neue Strömungen in der elektronischen Szene geht. Ein aktuell bei uns noch als Geheimtipp gehandelter Act könnte jetzt jedoch ein musikalisches Erdbeben auslösen und die Messlatte für alle anderen Electro-Soul-Bands unerwartet hoch legen: Canine.
Diese Band als genial zu bezeichnen, wäre eine gnadenlose Untertreibung, vielmehr hat man es hierbei mit einer Offenbarung zu tun, wie sie atmosphärisch dichter nicht sein könnte. Doch wer genau steckt hinter dem mysteriösen Kollektiv mit dem an eine magische Rune beziehungsweiseeinen Schneidezahn („Canine“) erinnernden V-förmigen Logo? Bevor Canine sein am 22.Februar 2019 auf Polydor erschienenes Debüt-Album „Dune“ veröffentlichte, machte die Band bereits einige Zeit durch vielfach gefeierte Auftritte bei privaten Konzerten die Pariser Hipster auf sich aufmerksam und löste einen Mystery-Hype um ihre verschleierte Identität aus.
Mit dem Launch von „Dune“ entschied man sich nun dazu, die Masken fallen zu lassen. Canine, das ist eine Gruppe, die sich um die 36-jährige, aus Nizza stammende Schauspielerin und Regisseurin Magali Cotta formiert, erfährt man nun. Sie verleiht dem Projekt ein genuines Attribut mit nahezu Alleinstellungsmerkmal. Eine ungewöhnlich androgyn und alterslos klingende Stimme, die bestenfalls noch an Antony and the Johnsons erinnert. Wo Antony Hegarty jedoch emotionsgeladene Vibratos zu seinem Markenzeichen macht, ist es Cottas seltsam entrückte, alienhafte Distanz zum Text, die ihrem Gesang eine unverwechselbare Atmosphäre verleiht.
Angeblich erreicht sie das charakteristisch androgyne Timbre mithilfe von Yoga und Meditationsübungen. Selbst wenn zudem noch ein paar entsprechende Plug-ins im Spiel waren; die Wirkung kann sich hören lassen. Den Fokus bei Canine jedoch nur auf Cottas Stimme zu legen, würde ihnen bei Weitem nicht gerecht werden. Dafür sind die 13 Tracks viel zu stimmige Gesamtkunstwerke, jeder für sich ein abgeschlossenes Universum– perfekt, abgeschlossen autonom und mit einer musikalischen Brillanz und Klangfülle produziert, dass man jedem Hörer nur wünschen kann, möglichst hochwertiges Wiedergabe-Equipment am Start zu haben, um in den Genuss dieses außergewöhnlichen Ohrenschmauses bis in die feinsten Klangnuancen gelangen zu können. Canine produziert seine Tracks als Team, die Orchestrierung ist entsprechend opulent und lässt weder dramatische Streicher und melancholisches Piano noch monumentale Chorgesänge vermissen.
So zum Beispiel auf dem bereits ausgekoppelten „Twin Shadow“, zweifellos eines der Highlights des teils in Englisch, teils in Französisch gesungenen Albums. Schon die ersten Strophen des Songs catchen dermaßen, dass sich ein potentieller Suchtfaktor einstellt. Das Video triggert die Begeisterung durch eine höchst mysteriös anmutende Atmosphäre einer sektenähnlichen Frauengemeinschaft, die einem unbekannten Kult um ein Wolfswesen zu huldigen scheint, dass offensichtlich von einer der Frauen Besitz ergriffen hat. Canine kokettiert hier stark mit neo-okkult-magischer Zeitgeist-Ästhetik und versucht ein geheimnisvolles Paralleluniversum aufzubauen, dessen Ambivalenz, Doppeldeutigkeit und Magie, gepaart mit dem Feminismus der 10er-Jahre an eine neue Generation moderner Hexen denken lässt.
„Ventimiglia“ ist ein weiteres Highlight auf „Dune“, das mit seinen dramatischen Chören, Cottas androgynem Gesang und den eindringlichen Streichern auch das Zeug zu einem hochkarätigen Sci-Fi-Thriller-Soundtrack hätte. Es hat etwas Cineastisches, wie die Dramatik von „Ventimiglia“ sich unweigerlich steigert und den Hörer auf einen Kopfkino-Trip der besonderen Sorte mitnimmt. Bläser und Drums am Ende des Stücks runden es schließlich wie ein Schlusskapitel ab und lösen unweigerlich Gänsehaut aus.
„Laughing“, das erste Stück des Albums setzt vor allem Cottas Gesang ein Denkmal und unterstreicht die melancholisch-düstere Atmosphäre mit dem grandiosen Chorgesang, der die Sängerin so stimmig begleitet, dass ein paar wenige Klavierakkorde und zurückgenommene Streicher dazu ausreichen, den Song zu einem epischen Meisterwerk zu krönen. Episch, das trifft auch den Charakter der restlichen Songs wie „Home“. Auch hier brillieren wieder mystische Frauenchorgesänge und virtuos temperiertes Klavier, die gleichzeitig opulent, monumental sowie seltsam schlicht und reduziert klingen – eine außergewöhnliche Mischung, die man so selten zuvor gehört hat.
„Sweet Sway“ erinnert mit seinem energiegeladenen, treibenden Beat an frühe Moloko-Stücke und macht unweigerlich Lust, das Tanzbein zu schwingen. „Jardin“ versprüht mit seinen französischen Lyrics frankophilen Charme und beweist, dass Cotta auch hohe Töne spielend souverän zu treffen weiß.
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Insgesamt überzeugt „Dune“ mit weiten, hochdifferenzierten Klangräumen, epischer Orchestrierung, sakral anmutenden Frauenchören und brillant eingetunetem Piano, das immer wieder in den entscheidenden Momenten die atmosphärisch dichten Akzente setzt. Schwächen im Mastering, Übersteuerungsfehler oder unnötigen Autotune-Schnickschnack sucht man hier vergebens – welch Wohltat! Fazit: Heute noch Geheimtipp, morgen vielleicht schon einer der Acts des Jahres. Diese Band sollte man sich merken!
BEWERTUNG CANINE – DUNE
TESTERGEBNIS | Punkte |
Musik | 10 |
Klang | 10 |