Billie Eilish – Happier Than Ever

Billie Eilish – Happier Than Ever

Mit dem Hit „Bad Guy“ und mit ihrem 2019er Debütalbum wurde die heute 19-jährige Amerikanerin Billie Eilish auf einen Schlag zur modernen Ikone. Eilish trägt in ihren teils ungewöhnlich arrangierten Emo-Popsongs Verletzlichkeit nach außen, sie geht offen mit eigenen psychischen Problemen um. Bereits das Cover des Nachfolgers, „Happier Than Ever“, mit Tränen auf ihrer Wange, lässt vermuten, dass der Titel nicht einseitig als Gute-Laune-Karussell zu verstehen sein dürfte.

Introvertiert klingender Minimal-Elektro-Pop – und softer Elektro-Bossa

Der Opener „Getting Older“ ist minimalistisch arrangiert, mit introvertiert anmutendem, leisem Gesang – was bei anderen Sängerinnen als Möchtegern-Klischee-Genuschel endet, bei Eilish – die ihre Texte passend interpretiert – hingegen bestens funktioniert. Im Text offenbart Eilish selbstkritische Gedanken, detailliert und auf den Punkt gebracht („Can’t shake the feeling / That I′m just bad at healing / And maybe that’s the reason every sentence sounds rehearsed”). Darunter pulsiert dezent ein rhythmisierter, dunkler, fülliger Synthesizer als musikalische Untermalung, der gemeinsam mit Pad-Klängen minimalistisch-spannend durch den Song führt. Erst spät setzt ein dezenter Bassdrum-Rhythmus ein, begleitet von kurzen Stakkato-Sounds – das fast wattierte Stück stellt gleich einen Höhepunkt dar. „I Didn’t Change My Number“, eine Midtempo-Ballade, reflektiert im Text eine vergangene Beziehung. Das nackte Retro-Drum-Computer-Gerüst wird etwa durch flott abgehakte Synthesizer ergänzt. Das erzeugt eine leicht düstere, verschrobene und gleichzeitig eingängige Atmosphäre.  „Billie Bossa Nova“ ist dem Titel entsprechend auf Elektro-Pop-Bossa-Rhythmik aufgebaut, die erstaunlich locker-flockig funktioniert. Ergänzt wird die Produktion durch bedämpfte Akustikgitarren-Einwürfe und durch beeindruckend tiefe, mehrstimmige Reggaeton-Bässe. Darüber hüllt Eilish den Hörer mit gehaucht-lässigem Gesang ein.

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„my future“, das im Text von Erkenntnis und positivem Aufbruch  erzählt, schwebt in einem All aus gemächlichen, verhallten Synth-Teppichen. Billie Eilish singt dazu gleichzeitig zerbrechlich-sirenenhaft und selbstbewusst – das muss man erstmal abliefern. Schließlich geht die Ballade unerwartet und trotzdem selbstverständlich in eine Ambient-Dub-Nummer über, mit dumpfen Rhythmen und abgedämpften Gitarren – ein Hörtipp. „Oxytocin“ liefert gedämpften, monotonen Industrial-Dub, mit Fokus auf abgehakter Rhythmik und – passend zum Text – teils dissonanten Sounds. „GOLDWING“ bleibt ähnlich minimalistisch, allerdings weniger dissonant. Der Refrain geht harmonisch eingängig auf, unterlegt von kurzen, tiefen Bässen. „Lost Cause“ erinnert mit E-Bass-Klängen an R&B-Stilistiken, der langsame, harmonische Abgang an die 1990er-Jahre Trip-Hop-Band Portishead – das funktioniert ebenfalls und ist spannend. Die Ballade „Hailey’s Comet“ ist mit mehrstimmigem, ultratiefem Bass untermalt, dazu sphärische cleane Gitarren-Licks und dezentes Klavier. Das stellt den tatsächlichen Höhepunkt des Albums dar. Die Spoken-Word-Performance „Not My Responsibility” hinterfragt unter dunklen Sounds intelligent die Erwartungshaltungen anderer Menschen sowie der Öffentlichkeit insgesamt. „Overheated“ setzt sich in heruntergedimmten Schranz-Dub-Sounds mit einem aufgerauten Geisteszustand auseinander, die atmosphärisch hervorragende Ballade „Everybody Dies“ stellt die Frage danach, wie sich mit der pessimistischen Erkenntnis umgehen lassen soll, dass früher oder später ohnehin jeder um einen herum sterben wird. Anschließend findet ein leicht akustischer „Umbruch“ des Albums statt: „Your Power“ sticht als Elektrofolk-Song samt Akustikgitarre und Reggaeton-Bässen heraus. Der Titelsong ist nostalgisch angehaucht, mit einer entfernten, dumpfen Schlaggitarre in der Ragtime-Aura der 1920er-Jahre, darüber die sirenenartig-hauchende Sängerin. „Male Fantasy“ schließt als moderne, melodische Akustiknummer das Album, mit dem für Eilish teilweise typischen mehrstimmigen Gesang, dazu Percussion auf dem Gitarrenkorpus. Die Zwischenteile sind harmonisch besonders beeindruckend gelöst – damit steht Billie Eilish hervorragenden Folk-Songwritern in nichts nach.

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Detaillierte, zeitlos-moderne Produktion

Wie bereits der Vorgänger, wurde auch „Happier Than Ever“ von ihrem Bruder Finneas O‘Connell produziert, der behutsam und bewusst zu Werke ging: Alle Elemente sind gut dreidimensional hörbar. Der teils belegte Gesang wirkt fast intim, als wäre er in einem kleinen Zimmer aufgenommen worden, was für die Botschaften gut funktioniert. Im Gegensatz zu anderen (mitunter hochkarätigen) Produktionen fallen dabei keine unangenehmen Erstreflexionen auf. Die beiden verzichten auf „Feuerwerke“ an Reizüberflutung, die Arrangements sind – wo nötig – minimalistisch gehalten. Die Aufmerksamkeit des Hörers bleibt dabei immer konkret gebunden. Die Produktion setzt auf Details, um die Botschaft zu untermauern: So werden bei einzelnen Versen stellenweise geschmackvolle Hallfahnen auf dem Gesang eingesetzt, etwa gegen Ende von „Getting Older“, bei „Lost Cause“ oder „Your Power“. Dass bei dem Album weitgehend auf überzogene Höhen verzichtet wird, erscheint angesichts des Minimalismus nur konsequent. Lediglich die oberen Mitten wirken gelegentlich etwas hart. Durch die leicht angecrunchten Elektro-Drum-Elemente entsteht eine eigene Ästhetik, ganz ohne den Beigeschmack von Retro-Abziehbildern. Mehr Lautstärke und Kompression findet sich dann gezielt bei einzelnen Songs: „NDA“, das in der Machart noch am ehesten an „Bad Guy“ erinnert, klingt besonders modern, mit betonten Höhen, Autotune-Effekt und krachig angezerrten Sounds. Auch „Therefore I Am“ ist deutlich komprimierter. Am Ende bleibt ein musikalisch wie stilistisch abwechslungsreiches Album mit tollem Songwriting und detaillierten Sounds. Billie Eilish weiterhin großes künstlerisches Potenzial vorauszusagen, scheint dahingehend alles andere als eine gewagte These.

BILLIE EILISH – HAPPIER THAN EVER

TESTERGEBNIS Punkte
Musik 10
Klang 8
So testet und bewertet mobilefidelity magazin.

 

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