„Abbey Road“, das eigentlich als letztes aufgenommene Studioalbum der Beatles, erschien 1969. Passend zum 50-jährigen Jubiläum wurde nun eine „Super Deluxe Edition“ mit zusätzlichen Song-Takes veröffentlicht. Das eigentliche Album wurde hierbei komplett neu aus den Einzelspuren der 8-Spur-Bänder gemischt, der sogenannte „2019 Mix“.
‚Remastered‘ wurde der Beatles-Katalog 2009 bereits mit großem Bohei veröffentlicht – jene Variante des „Abbey Road“-Albums dient als Orientierung gegenüber den neuen Song-Abmischungen. Ob ein alternativer Mix musikalisch interessante Einblicke in die Songs vermitteln oder relevante Nuancen herausstellen kann, die im ursprünglichen Mix untergangen sind?
Beim Abbey Road-Opener „Come Together“ klingt der Bassbereich präsenter, die Drums etwas dreidimensionaler, allerdings ohne die knackige Kompression etwa der Toms des Original-Mixes. Die Rhythmusgitarre links wirkt belegter. Insgesamt peitscht der Refrain stärker ein, ebenso der Instrumentalpart mit E-Piano und Gitarrenmelodie. Allerdings: Die Höhen wirken minimal scharf im Vergleich zum remasterten Original-Mix – und der musikalische Guss leidet minimal, in dem Sinne, dass die Verstimmung der einzelnen Instrumente mehr herausgestellt wird, und das Mitwippen als Zuhörer sich beim Original unmittelbarer einstellt. Die Schärfe fällt nur im Direktvergleich auf, insgesamt bleibt das Ergebnis noch gut hörbar.
Ähnliches Spiel bei „Something“: Die Orgel- und Streicher-Sounds sind räumlich deutlicher wahrnehmbar, ebenso die Leslie-Gitarre. Paul McCartneys Bass liegt nicht mehr rechts, sondern mehr in der Mitte – fast als ob er sich eine Oktave unter den Rest sortiert, das Klangspektrum erweitert. Die Drums wirken auch hier dreidimensionaler, während sie im Original pappig-flach erscheinen. Das Banjo im Refrain ist separater wahrnehmbar, überhaupt geht der Refrain weiter auf, kommt dadurch aber musikalisch nicht unbedingt gleich gut auf den Punkt. Auch hier wieder minimale Schärfe im Vergleich, das Original erscheint trotz der ‚Zweidimensionalität‘ geschlossener.
Bei „Maxwell‘s Silver Hammer“ klingt das Klavier links kräftiger, dafür zischen die Hi-Hats rechts leicht. Die ‚Bang‘-Geräusche dringen auch deutlicher ins Ohr. „I Want You (She‘s So Heavy)“ klingt monströser, kraftvoller, mit vordergründigerem Gesang und dreidimensional gemischten Instrumenten, die sich plastisch um die Vocals arrangieren. Das klingt reizvoll, gleichzeitig erscheinen einzelne Signale – etwa die Snare und Bassdrum – belegter als im Original, bei allem kräftigen Low-End fehlen die spritzigeren Impulse des Original-Mixes.
Bei „Octopus’s Garden“ zischen die Hi-Hats leicht, Strophe, Bridge und Refrain profitieren allerdings vom aufgefächerten Stereo-Panorama und dem zusätzlichen ‚Gewicht‘: Ringo Starrs Song rockt kräftiger – beispielsweise durch das deutlichere Low-End, das hervorgehobene Klavier in der Bridge und die sanft umspülenden Background-Vocals. Die Akustikgitarre bei „Here Comes the Sun“ beginnt mit leicht steriler Schärfe. Die hier rechts liegenden Drums mit Snare und Hi-Hats klingen – wohl auch dank eines Slapback-Delay-Effekts – etwas phasig, ähnlich wie Artefakte einer mp3-Komprimierung. Der mittige Gesang bringt (im Gegensatz zum links positionieren Original) gefühlt keinen Mehrwert. Hier überzeugt trotz etwas plastischerer Abbildung der Instrumente der Original-Mix insgesamt.
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Das Abey Road-Bonusmaterial von 23 Songs ist ebenfalls räumlich breit aufgefächert und klanglich hochwertig gemischt. Die Outtakes – auch von Songs, die nicht auf „Abbey Road“ veröffentlicht wurden – bieten funktionierende Arrangements. Meist wird im Vergleich auch klar, warum letztlich andere finale Takes ausgewählt wurden: Das Take von „The Ballad of John and Yoko“ besteht nur aus der Live-Aufnahme von Paul McCartney am Schlagzeug und John Lennon an der Akustikgitarre, ohne Overdubs.
Für Fans interessant: Die Kommentare zwischen den Musikern oder auch die Kommunikation mit George Martin im Regieraum – oft kommen große Spielfreude und Humor durch (Lennon bezeichnet McCartney in seiner Drummer-Funktion kurzerhand als „Ringo“). „Oh Darling“ klingt ‚sparsamer‘ und direkter als die Album-Version – ein Hörtipp. Gleiches gilt für „She Came in through the Bathroom Window (Take 27)“. Auch die Studio-Demo-Version von „Something“ berührt durch ihr sparsames Arrangement aus Piano und Akustikgitarre. Bei „Here Comes the Sun (Take 9)“ fehlen sämtliche Orgel- und Streicher-Sounds – ein ‚nackter‘, aber kurios reizvoller Einblick, der den Unterschied vom rauen Gerüst zum endgültigen Arrangement eindrucksvoll demonstriert.

Was vermag uns das alles zu sagen? Wie schon beim neu gemischten „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, das 2017 als „Super Deluxe Edition“ veröffentlicht wurde (und ebenso das „White Album“ im Folgejahr), klärt sich auch hier ein Stück weit die Frage, wie „Abbey Road“ und die Beatles klingen, wenn das alte Material mit heutigen Möglichkeiten gemischt wird: ziemlich, ziemlich gut, und vor allem beeindruckend dreidimensional – wären da nur nicht gelegentliche Anflüge von Schärfe im Frequenzgang und/oder leicht belegte Einzelsounds. Im Gegensatz zum „Sgt. Pepper’s“-Album, das deutlich komprimierter und insgesamt unangenehmer klingt (was teilweise auch für das „White Album“ gilt), gelingt der Ansatz bei „Abbey Road“ besser. Wer sich von scheinbarer Gralshüterei des ‚Originals‘ freimachen kann und will, bekommt interessante Alternativen geboten, wenngleich trotz aller klanglichen Bass- und Panorama-Erweiterungen in den meisten Fällen der ‚Guss‘ des Originals stimmiger erscheint. Eine mögliche Ausnahme: Das erwähnte „Octopus’s Garden“. Und gerade die Outtakes zeigen einmal mehr, was für disziplinierte und energetische Performer die Musiker eigentlich waren. Die Bewertung der Musik selbst steht aufgrund der Vielzahl an zeitlosen Klassikern ohnehin praktisch außer Frage.
Das Beatles-Album „Abbey Road (50th Anniversary Super Deluxe Edition)“ wurde für den Test als hochauflösender Download in 96 kHz/24 Bit von highresaudio.com zur Verfügung gestellt. Dort wirkt die Bezeichnung „Remastered“ im Titel allerdings etwas irreführend, da statt neu gemasteren alten Mischungen schließlich komplett andere Mixes enthalten sind. Alternativ wird der „2019 Mix“ ohne Bonusmaterial vergünstigt bei Highresaudio angeboten. Abgesehen vom High-Resolution-Download ist das Album in unterschiedlichen physikalischen Ausgaben erhältlich – beispielsweise als limitierte Super Deluxe Edition mit zusätzlichem, begleitendem Hardcover-Buch. Eine Blu-Ray Audio beinhaltet neben dem 96 kHz/24Bit-Mix auch Mischungen in Dolby Atmos und 5.1.
Abbey Road (50th Anniversary Super Deluxe Edition) bei highresaudio.com downloaden
MANDO DIAO – BANG
TESTERGEBNIS | Punkte |
Musik | 10 |
Klang | 9 |